Immer wieder führen korrekte Entscheidungen der Schiedsrichter zu Unmutsäußerungen auf den Zuschauerrängen und an den Banden. Ursachen hierfür sind langjährige Mythen, die sich über die Jahre hinweg trotz zahlreicher Regeländerungen in den Köpfen vieler selbst ernannter Experten festgesetzt haben. Manchmal glauben deren Protagonisten auch, sie könnten die Schiedsrichter mit entsprechenden Zwischenrufen verunsichern. In einer kleinen Serie stellen wir in den nächsten Wochen bis Weihnachten sechs der hartnäckigsten Mythen vor, denen man – sehr zum Leidwesen der Schiedsrichter – immer wieder begegnet, und denen dennoch die Grundlage fehlt.
Mythos 1: Der Torwart genießt in seinem Strafraum besonderen Schutz.
Gleich vorweg: Die Spielregeln beinhalten an keiner Stelle, dass der Torwart einen „besonderen Schutz“ genießt. Ein entsprechender Regeltext fand sich bislang in keiner der Spielregelversionen. Der einzige Vorteil für den Torwart bezieht sich auf den Torkreis vor seinem Torgehäuse. Wahrscheinlich ist dieser Mythos aus dem Eishockey übertragen, weil dort jeder Angriff auf den Torwart zu heftigen Reaktionen seiner Mitspieler gegen den Kontrahenten führt. Dies ist zwar aus gruppendynamischen Überlegungen heraus verständlich, eine entsprechende Spielregel hierfür gibt es im Rollhockey jedoch nicht.
Art. 29.1.16 SPR2018 beschreibt als „Technisches Foul“, wenn sich gegnerische Spieler ohne Ball in der „Schutzzone“ des TW aufhalten. Sie dürfen sich dort weder neben dem Pfosten aufstellen noch diesen Raum hinter dem Torwart durchqueren – selbst dann nicht, wenn er sich weiter vorn befindet und deshalb hinter ihm genügend Raum dafür besteht. Auf eine tatsächliche Behinderung des Torwarts bei dessen Abwehraktion oder auf einen „zufälligen“ Körperkontakt kommt es auch nicht an. Eine Spielunterbrechung durch die Schiedsrichter wird aber nur dann zwingend, wenn sich dieses „Technische Foul“ ereignet, als die Mannschaft des regelwidrig handelnden Spielers den Ball besitzt. Führt das Team des TW den Ball, würde ein indirekter Freistoß den Spielfluss stören und dessen Mannschaft benachteiligen, weil die andere Mannschaft sich wieder sortieren kann. Die Schiedsrichter müssen also sehr genau sowohl auf die Aktivität dieses Spielers als auch auf den Ballbesitz achten, bevor sie das Spiel unterbrechen.
Ein Angriffsspieler darf sich demnach außerhalb des Torkreises vor den Torwart stellen, selbst wenn er ihm dabei die freie Sicht auf das Spielgeschehen nimmt. Er darf jedoch absichtlich keinen Körperkontakt zum Torwart herstellen und sich dann den Ball angeln. Ein besonderes Schutzinteresse des TW erwächst daraus also nicht. Handelt der Spieler regelwidrig, indem er z.B. mit dem Schläger nach dem am Körper des TW liegenden Ball stochert, kann es eigentlich nur indirekten Freistoß für den Torwart geben. Der clevere Spieler wartet deshalb darauf, dass der TW den Ball spielt, schließlich verpflichten die Spielregeln den Torwart, den Ball nicht absichtlich zu blockieren (Art. 29.1.11 SPR2018). Auf Bully darf der SR also nur entscheiden, wenn der Ball nicht spielbar ist, weil er z.B. in der Ausrüstung des Torwarts steckt. Aber auch hier geht es nicht um „schutzwürdige Interessen“ des Torwarts.
Manchmal stellt der Torwart Körperkontakt zu dem vor ihm postierten Gegenspieler her. Diesem Spieler lässt sich ein regelwidriges Handeln dann allerdings kaum vorwerfen, auch wenn man dies noch so vehement fordert. Gleiches gilt im Übrigen auch, wenn der Gegenspieler gegen den Torwart geschubst wird. Die regelwidrige Aktion geht dabei nämlich vom Abwehrspieler aus. In eindeutigen Fällen muss dann sogar auf Penalty entschieden werden.
Bei Aktionen der Spieler gegen den Torwart müssen die Schiedsrichter den gleichen Maßstab anlegen wie bei den Feldspielern auch. Die Forderung, beim TW müsse der SR früher pfeifen, zieht auch nur bedingt. Ein entsprechender Regeltext existiert hierfür nicht. Besonderen Schutz genießt der Torwart also nicht. Schließlich sind seine Mitspieler auch nicht berechtigt, einen gegen den Torwart regelwidrig handelnden Gegenspieler zu attackieren, indem sie ihn ihrerseits umstoßen oder mit dem Schläger schlagen – d.h. selbst gewalttätig agieren. Eine solche Aktion ist durch nichts gerechtfertigt.
Ein Beitrag der Schiedsrichterkommission Rollhockey